Vom 28.12.2020 bis 5.1.2021 hatte ich die Gelegenheit, Andreas Haller bei seiner Reise nach Moldawien zu begleiten. Gern wollte ich mir ein eigenes Bild davon machen, wohin genau die Weihnachtspakete gehen, die wir im Hort der August-Hermann-Francke-Schule in Leipzig und auch in meiner Familie seit ca. 8 Jahren packen. Geplant war eine Reisegruppe von 6 bis 8 Leuten. Durch Corona war zwischenzeitlich nicht klar, ob die Reise überhaupt stattfinden kann. Schließlich kam die Genehmigung vom Moldawischen Gesundheitsministerium, dass 2 Leute im Rahmen eines humanitären Hilfstransportes fahren dürfen. So machten sich Andreas und ich auf den Weg. Begleitet wurden wir von Marko und Domenic aus Greiz, die ebenfalls als humanitäre Helfer mit ihrem Transporter unterwegs waren.
Wir reisten am ersten Tag nach Talmaciu in die Nähe von Sibiu, Rumänien, wo wir sehr freundlich von Familie Bunduc, einer rumänisch-deutschen Missionarsfamilie, aufgenommen wurden. Am nächsten Morgen fuhren wir zu einer Zigani nach Codlea, Rumänien, und lieferten in der dortigen Pfingstgemeinde ca. 140 Weihnachtspakete ab. So einen Wohnort hatte ich bisher noch nicht gesehen. Die Siedlung liegt malerisch am Fuß eines Berges. In den bunt durcheinander gebauten, mehr oder weniger stabil wirkenden Häuschen wohnen geschätzte 400-500 Menschen. Es war ziemlich vermüllt und liederlich, Hunde streunten umher, ein Pferdefuhrwerk bog aus dem Hof, hinter dem Zaun hörte man ein Schwein grunzen, Teppiche hingen über der Mauer zum Lüften ... und mittendrin baut Gott sein Reich!

Nach einem Abstecher in eine Kirchenburg in Siebenbürgen ging die Reise weiter über die Karpaten nach Moldawien. Nach 2 Stunden an der Grenze durften wir moldawischen Boden betreten. Das Erste, was mir auffiel, waren die Straßen, die mich an LPG-Wege erinnerten, die vielen Wallnuss- bäume und die Brunnen vor den Häusern - wie bei Frau Holle. Wir fuhren schnell noch bei Marius, einem rumänischen Missionar in Hijdieni vorbei, um einige Dinge abzuliefern, und kamen am späteren Abend bei der christlichen Gemeinde „Elim“ in Singerei an. Vasile Cosovan, der Gemeindeleiter, erwartete uns und wir bezogen unser Quartier - die Gästeräume der Gemeinde.
Am nächsten Morgen fuhren wir in die Stadt zum Geld tauschen und ich konnte mich auf dem Markt mit Obst und Gemüse versorgen. Anschließend zeigte mir Andreas das Gemeindegelände, das sich von deutschen erheblich unterscheidet. Da gibt es das Gemeindegebäude mit 2 Gästezimmern, Bad, WC, Gemeinschaftsküche und Versammlungsraum für 700 Leute. Im Außenbereich findet man eine Toilettenanlage, einen großen Pavillon, viele Wallnuss- und Obstbäume, ein Gebäude mit Tischler- werkstatt, Lager, Gruppenräumen, ein anderes Gebäude mit Kfz-Werkstatt TÜV und Autowaschanlage sowie ein Bistro, was verpachtet ist. Des Weiteren sind etliche Busse auf dem Hof geparkt, die zur sonntäglichen Abholung der Kinder von den Dörfern zum Gottesdienst dienen. Dann gibt es mindestens 2 Kettenhunde, Kühe, Schweine, Enten, Katzen und Hühner, um die sich ein Hausmeisterehepaar kümmert, die eine klitzekleine Wohnung am Bistro hat.
Da in diesem Jahr kein Gottesdienst mit allen Kindern stattfinden durfte, mussten die Pakete in die Dörfer zu den Kindern gebracht werden. So beluden wir den Transporter und fuhren gemeinsam mit moldawischen Geschwistern zum ersten Dorf „Pepeni“ (heißt Gurke). Die Kinder und Familien waren vorher telefonisch informiert worden, wann und wohin sie kommen sollten, um ihre Weihnachtspakete zu erhalten. So wurden wir an verschiedenen Treffpunkten erwartet. Die Paketempfänger wurden in Listen verzeichnet und dann oblag es Andreas, aus der Ladung das passende Paket (Alter, Geschlecht) für das jeweilige Kind herauszusuchen, was keine leichte Aufgabe war. Eine alleinerziehende Mutter bat uns, ihr Haus anzuschauen. So fuhren wir hin. Die vordere Mauer des Gebäudes war stark beschädigt. Andreas verschaffte sich ein Bild vom Zustand des Hauses und betrat zu diesem Zweck auch die Innenräume. Ich folgte ihm. Das vordere Zimmer mit beschädigter Wand wurde nicht mehr zum Wohnen genutzt, dort lagen nur Sachen herum. Es gab noch ein oder zwei andere bewohnbare Räume, in denen sich etliche Personen aufhielten. Es war sehr armselig und verkommen. Die Mutter weinte, als sie uns ihre Lage schilderte. Aus eigenen Kräften ist es ihr unmöglich, an dieser Situation etwas zu verändern.

Die traurigste Begebenheit auf dieser Reise war ein Besuch bei Nicolai (ca. 20 Jahre) und seiner Oma. Das Haus der beiden sah von außen unbewohnt aus, weil es so heruntergekommen war. Im Eingangsbereich lag ein kleiner schmuddeliger Hund im Dreck. Im Inneren gab es tatsächlich einen Raum, in dem Menschen waren. Wir betraten ein dunkles, schmutziges Loch. Auf einer Matratze saß oder lag eine alte kleine Frau mit strähnigen Haaren, die uns aus ihren großen Augen anblickte, zugedeckt mit schäbigen Decken. Nicolai und ein Freund waren im gleichen Raum, in dem noch ein Bett mit Matratze zu sehen war. Ein Ofen stand in der Mitte der Behausung und spendete spärliche Wärme. Vielleicht gab es noch eine Art Küchenschrank. Ein Behälter mit schmutzigem Wasser, Essensreste und anderer Unrat waren zu sehen - was für ein Elend. Nicolai, der von Geburt an zusammengewachsene Finger und Zehen hatte und dem schon eine Operation zur Korrektur ermöglicht worden war, zeigte sich gegenüber Unterstützungsangeboten hinsichtlich einer Ausbildung und einer weiteren OP, damit er seine Hände noch besser nutzen kann, scheinbar uninteressiert. Mehr als ein Weihnachtspaket zu geben, ermutigende Worte und ein Gebet zu sprechen, konnten wir in diesem Moment nicht für ihn tun.

An den nächsten 3 Tage waren wir immer wieder zum Pakete verteilen in den Dörfern unterwegs. Der Transporter musste sich häufig durch schlammige Wege wühlen. Dementsprechend sahen auch unsere Schuhe aus. Mit einzelnen Personen konnten wir etwas intensiver reden, sie zeigten uns ihr Grundstück oder Haus oder wir konnten für sie beten. Da ich kein Rumänisch spreche und auch meine Russischkenntnisse zu gering sind, konnte ich leider keine Gespräche mit den moldawischen Leuten führen. Das war bedauerlich - ich musste mich auf „Guten Tag“, „Bitte“ beim Austeilen von Kalendern und Kinderzeitschriften sowie „Fröhliche Weihnachten“ beschränken. Zum Fotografieren taugte ich auch. Da durch den Besuch auf den Dörfern mehr Personen ein Paket abholten als in den anderen Jahren, als diese in der Gemeinde ausgeteilt wurden, konnten wir im letzten Dorf leider nicht mehr jedem Kind ein Paket geben. Das letzte Paket musste sich eine Familie teilen - das gab Tränen bei einem Mädchen und tat mir sehr leid.
Am 2.1. fuhren wir zur Feuerwehr nach Straseni in die Nähe der Hauptstadt Chisinau und übergaben eine Spende der Schkeuditzer Feuerwehr. Vasile Zaharia, der Chef dieser Feuerwache, erzählte uns u. a. welche Pläne er hat, um in dieser Region ausreichend Feuerwehrstationen aufzubauen, damit sie bei Bränden schnell vor Ort sein können. Ein engagierter Mensch mit einer Vision für seine lebensrettende Aufgabe (unter den schwierigen moldawischen Bedingungen) - das hat mich sehr beeindruckt. Am frühen Nachmittag waren wir ins Landratsamt eingeladen. Der Landrat, sein Stellvertreter und Ehefrau empfingen uns herzlich mit selbstgebackenen Plazenten und äußerten ihren Wunsch, eine Kooperation mit einer deutschen Stadt oder einem Landkreis einzugehen. Es wäre sicherlich ein großer Gewinn, nicht nur für die moldawische Seite, wenn eine solche Partnerschaft zustande kommen würde.
Am Sonntagmorgen, den 3.1. kamen die Kinder und einige meist ältere Menschen aus Singerei und Umgebung, um ihre Weihnachtsgeschenke abzuholen. Andreas hielt eine kurze Ansprache vor dem Tor, es wurde ein gemeinsames Lied gesungen und gebetet. Dann öffneten sich die Tore zum Gemeindegelände, die Kinder wurden eingelassen und konnten, nachdem sie auf der Liste unterschrieben hatten, ihr Paket in Empfang nehmen und nach Hause tragen. Marko aus Greiz, der das Alter der Kinder erfragte, war häufig überrascht, wie alt manche Kinder schon waren, obwohl sie noch so jung aussahen - wahrscheinlich die Folge einer mangelhaften Ernährung. Gott sei Dank reichten die Pakete dieses Mal! Am Nachmittag besuchten wir noch einmal Marius und seine Familie. Bei Tee, Gebäck und selbst gepresstem Traubensaft redeten und beteten wir miteinander. Auch dort übergaben wir noch einmal 32 Pakte für die Kinderarbeit.
Seit Montagmorgen befinden wir uns nun auf der Heimfahrt. Wir entfernen uns mehr und mehr von einem kleinen armen Land mit kostbaren Menschen. Bei manchen von ihnen ist es unerklärlich, wie sie überleben können. Ein Land, das schon bessere Zeiten gesehen hat. Ein Land, in dem ich zwar nicht gerne ein Hund an der Kette wäre, aber ein Huhn oder eine Ente, die meist frei herumlaufen können. Oder ein Schaf in einer der vielen Herden, die sich mit ihrem Hirten bimmelnd durch die Landschaft bewegen. Ein fruchtbares Land, wenn genug Regen kommt, von dessen Bewirtschaftung und Ertrag die Menschen direkt abhängig sind. Es war toll, einmal dort gewesen zu sein und die Eindrücke in die eigene Sicht auf die Welt einfließen zu lassen. Verglichen mit dem dortigen Leben, leben die meisten Deutschen wie Fürsten. Und sicherlich möchte ich mich dafür engagieren, dass im nächsten Jahr jedes Kind, das kommt, ein Weihnachtspaket erhalten kann.
Elke Holtz, 5. Januar 2021
